WAS UNSERE SPRECHSTIMME ÜBER UNS ERZÄHLT
Unsere menschliche Stimme ist ein Instrument, das durch seine vielfältigen Klangmöglichkeiten in der Lage ist, wie kein anderes Musikinstrument unsere Befindlichkeiten und Gefühle differenziert auszudrücken. Wir können auch in Sprachen, die wir nicht verstehen, am Klang hören, ob jemand traurig, aufgebracht, ängstlich, hilflos, freudig, begeistert oder verzückt ist. Das liegt daran, dass menschliche Gefühle in den meisten Kulturen ähnlich klingen – zum Beispiel ein jammernder schluchzender Ton, ein aggressiv angespannter, ein weicher liebevoller, ein juchzend heller Klang. Ganz leicht ist das in einer Schauspielübung wahrnehmbar, in der man versucht, verschiedene Emotionen in Phantasiesprache, also einer Sprache, die es nicht gibt, auszudrücken. Erfahrungsgemäß versteht das Gegenüber sofort das Gefühl! Probiere es einmal aus!
DIE UNBEWUSSTE GEFÜHLSBOTSCHAFT
Nun aber wird es ein bisschen komplexer: Häufig senden Menschen nämlich auch eine „geheime“ Botschaft mit dem Klang der Stimme, eine unbewusst abgesendete Aussage über sich selbst und die momentanen Gefühle. Diese Botschaft drückt sich jenseits vom sachlichen Inhalt des Gesprochenen – meist ohne Wissen des Absenders – zwischen den Zeilen aus. Hier ein einfacher Loriot-hafter Dialog, den man spaßeshalber einmal in verschiedenen Tonfällen laut lesen kann:
Sie: mitfühlend „Was ist denn los mit dir?”
Er: flapsig „Nichts, wieso?”
Sie: bohrend „Du hast doch irgendwas?”
Er: vorwurfsvoll „Ich weiß nicht, wie du da rauf jetzt wieder kommst!”
Sie: schrill „Siehst du, ich wusste doch, dass du auf irgendwas wütend bist!”
Er: brüllend „Ich bin überhaupt nicht wütend!!!!”
Die letzte Aussage ist eine typische Doppelbotschaft – übrigens in der Paarkommunikation sehr verbreitet –, in der der Stimmklang komplett das Gegenteil der Botschaft der Worte erzählt. Und der Stimmklang sagt zusammen mit der Körpersprache immer die emotionale Wahrheit, die allerdings nicht in jedem Fall so leicht zu entschlüsseln ist wie in unserem Beispieldialog. Wenn sich dieses Paar die Mühe machen würde, die unbewusst gesprochenen Worte in eine aufrichtige, d.h. mit den Gefühlen übereinstimmende Kommunikation zu übersetzen, könnte es vielleicht so heißen:
Sie: „Ich bin mir unsicher darüber, wie es dir im Moment mit mir geht.”
Er: „Ich möchte darüber jetzt gerade nicht reden.”
Sie: „Es macht mit aber wirklich viel aus, wenn du nicht über dich sprichst.”
Er: „Ich kann dazu jetzt nichts sagen, weil ich dafür eigentlich noch keine Worte habe.”
Sie: „Und ich fühle mich jetzt total verunsichert, weil ich nichts über deine Gefühle weiß!”
Er: „Dein Insistieren macht mich echt wütend, bitte warte ab, bis ich es dir erzählen will!”
Wenn man die beiden Dialoge laut liest, wird man wahrscheinlich an sich selbst hören, dass die emotionale Klangbotschaft im zweiten Fall mit den Worten übereinstimmt. Probiere auch das einmal einmal schauspielerisch aus – es darf Spaß machen und kreativ sein!
BOTSCHAFTEN DES STIMMKLANGS AUS DER PERSÖNLICHEN BIOGRAPHIE
Seit 30 Jahren mache ich in meiner Stimmpraxis Erfahrungsforschung über die psychologischen Hintergründe von Stimmstörungen. Menschen kommen in die Therapie, z. B. weil sie Druck in der Kehle empfinden oder die Stimme kraftlos klingt, zu hoch, zu tief, zu leise, heiser, belegt, hauchig usw. Dabei hat sich in unzähligen Fällen gezeigt, dass die Stimme nicht nur momentane Gefühle, sondern sehr subtile, geheime Botschaften aus der eigenen Biographie, den schwierigen Erlebnissen der Kindheit und Jugend sendet, und zwar permanent, selbst wenn über das Wetter gesprochen wird. In einer genauen Betrachtung der Klangparameter der Stimme kann man die Botschaften und auch die gefolgerten Glaubenssätze zwischen den Zeilen erlauschen lernen.
Ein Beispiel: Maria suchte meine Hilfe, da ihre Stimme leise, etwas zu hoch und verhaucht klang und sie das Gefühl hatte, von anderen nicht respektiert zu werden. Wenn Du möchtest, probiere aus, ihren Stimmklang einmal zu produzieren, vielleicht mit einer Aussage über das Wetter. Was drückt dieser Klang aus? Vielleicht lassen sich z. B. ungesagte Botschaften heraushören wie „Bitte tu mir nichts“ oder „Ich kann doch nichts dafür“ oder „Bitte hab mich endlich lieb“. Wir fanden dahinter eine uralte Erfahrung mit einem autoritären Vater in einer unsicheren Familiensituation, in der Maria es sich als Kind nicht leisten konnte, die Stimme mit den tiefen kraftvollen Körperresonanzen und ihrer eigenen Autorität zu verbinden.
Das Fatale an dieser Stimmprogrammierung ist, dass sie bis ins Erwachsenenalter durchklingt und dann, wenn sie nicht erkannt wird, unbewusste Reaktionen wie Ablehnung, Abwertung usw. beim Gegenüber auslöst!
Ein anderes Beispiel: Christian, der zu tief, leicht zurückgenommen und rauchig sprach und sich häufig dabei räusperte (jetzt ausprobieren!) kam in meine Praxis. Die unbewusste Botschaft war gar nicht so leicht herauszuhören. Es klang auch irgendwie sexy und geheimnisvoll, war aber für ihn äußerst anstrengend bei längerem Sprechen. Was wir zusammen herausfanden, war ein Muster aus seiner Jugend – er war ein überaus begabter Schüler mit besten Noten in allen Fächern –, das ihn unbewusst sagen ließ: „Ich will mich nicht wichtig machen, damit ihr meine Freunde bleibt“. 30 Jahre später versuchte das Unbewusste noch immer über den Stimmklang Freundschaften zu erhalten!
Die Speicherung der Ursachensituation im Unbewussten ist der Grund dafür, dass die Stimme nicht frei schwingt. Ich entwickelte mit den Jahren eine Methode, durch ein einfühlsames Interview mit der inneren Instanz, die den Stimmklang produziert, herauszufinden, aus welcher Zeit diese Botschaft kommt und wem sie galt, bzw. welche Situationen dahinter stehen.
Wenn das einmal ins Bewusstsein getreten ist, kommt man erstmals in die Freiheit, sich zu fragen, ob es zum heutigen Zeitpunkt noch stimmig ist, ständig durch die subtilen Klangfarben jedem Kommunikationspartner vom damaligen Erleben zu erzählen. Und wenn diese Frage schließlich mit Nein beantwortet wurde, kann man die Speicherung per Bewusstsein löschen, sodass der Weg frei wird für einen stimmigen, kraftvollen, volltönenden Stimmklang. Es entwickelt sich dann allmählich eine Sprechweise, bei der Klang, Artikulation und Körperausdruck mit dem Inhalt der Worte übereinstimmen. Meiner Erfahrung nach helfen Stimmübungen und Stimmtechniken erst jetzt nachhaltig, da das Unbewusste nicht mehr den Klang blockiert und die Stimme schließlich aus ihren Mustern entlässt.
EMOTIONALE KOMPETENZ ALS BASIS DES AUTHENTISCHEN STIMMKLANGS
Wenn man seinen Stimmklang und seine Sprechweise in Übereinstimmung mit dem inneren Erleben bringen möchte, braucht man vor allem emotionale Kompetenz: Die eigenen Gefühle im Körper wahrnehmen und erlauben, dass sie auf stimmige Weise im Stimmklang hörbar werden – das ist die Voraussetzung für eine authentische Stimme. Die Brücke dazu ist der frei fließende Atem.
Zum Abschluss möchte ich Dir im Kasten nebenan eine Übung aus der ganzheitlichen Stimmtherapie mitgeben. Die geheimen Botschaften der Stimme zu entschlüsseln, heilt nicht nur den Stimmklang, es schenkt uns ein Gefühl von Stimmig-Sein, innen und außen im Einklang, und macht uns zu emotional kompetenten Gesprächspartnern. Viel Freude mit den ersten kleinen spielerischen Experimenten und Übungen!
Setze dich mit aufrechtem Oberkörper bequem hin und atme durch den offenen Mund in deinen Körper hinein. Frage dich, wo im Moment die stärkste Körpersensation ist und lege eine Hand darauf. Lade diese Wahrnehmung mit deinem Atem ein, so dass sie sich ausdehnt und deutlicher wird. Beobachte, wie sie aussieht, welche Farbe, Form, Konsistenz sie hat. Frage nun dein Körpergefühl: „Wenn du sprechen könntest, was würdest du mir jetzt sagen?“ Sprich diesen Satz mehrfach aus und spüre hinein, wie sich das anfühlt. Dann lasse einen Ton auf einem langen „mmm“ kommen … erlaube dem Gefühl von der Körperstelle zur Kehle aufzusteigen und sich als voller Ton auszudrücken. Öffne schließlich das „mmm“ zu einem Volkal, z. B. „mmmmoooooh“ oder „mmmmmaaaaah“. Verbinde dich damit, lausche dir selbst, nimm das Gefühl an. Dann beende die Übung damit, dass du die Hände liebevoll auf die Körperstelle legst, die gesprochen hat.

DIE AUTORIN:
Katrin Grassmann lebt und wirkt seit 29 Jahren als Stimmtherapeutin und Seminarleiterin für ganzheitliche Stimmarbeit am Ammersee.
Kontakt:
Web: www.stimmschule-ammersee.de