oder wie man mit buddhistischer Gelassenheit Wut, Hass und Eifersucht vorüberziehen lässt
Haemin Sunim stammt aus Korea, er ist buddhistischer Mönch, Zen-Meditationslehrer und war Professor an einem Liberal Arts College. Inzwischen ist er auch Autor und Social Media Star, da er in einfachen Worten zu vermitteln versteht, was uns das Leben und das Miteinander wertvoll und schön macht. Seine liebevollen Fingerzeige bringen Entspannung in unsere schnelle Welt. Seit Haemin Sunim auf Twitter und Facebook aktiv ist, wird er immer wieder angeschrieben und um Rat gebeten. Die häufigsten Fragen beziehen sich auf den Umgang mit heftigen Gefühlen, wie Wut, Hass und Eifersucht.
Die gute Nachricht ist, dass diejenigen, die Fragen zu diesem Thema haben, schon auf halbem Wege zum Ziel sind. Allein die Tatsache, dass sie diese Fragen überhaupt stellen, zeigt, dass sie achtsam genug sind, ihre negative Geistesverfassung zu bemerken – was gar nicht so leicht ist! Die meisten Menschen lassen sich völlig von ihren Gefühlen vereinnahmen – ihre Selbstwahrnehmung ist begrenzt. Diejenigen aber, die mich nach dem Umgang mit starken Gefühlen fragen, haben erkannt, was in ihrem Geist vor sich ging, als sie von einem Sturm negativer Gefühle mitgerissen wurden und hielten inne.
Wenn man spürt, dass ein negatives Gefühl aufkommt, ist der erste Impuls normalerweise, es unter Kontrolle zu bringen, damit man nicht von ihm überwältigt oder bedroht wird. Betroffene wollen es, wenn möglich, am liebsten sofort loswerden oder ihm entfliehen; nur selten meinen sie, dass es sich lohnt, es tiefer zu verstehen. Das ist vermutlich der Grund, warum Redewendungen wie „seinen Zorn in den Griff bekommen“ oder „Hass überwinden“ gang und gäbe sind, im Gegensatz zu Formulierungen wie „sich mit den eigenen Gefühlen anfreunden“.
Es ist schwierig, ein starkes negatives Gefühl schnell unter Kontrolle zu bringen. Je mehr wir es versuchen, umso heftiger wird es und umso schneller dringt es wieder an die Oberfläche. Selbst wenn wir meinen, es zu kontrollieren, haben wir es am Ende doch nur unterdrückt, so dass es später wieder zum Vorschein kommt.
Stell dir vor, ein starkes negatives Gefühl sei wie aufgewirbelter Matsch in einem Aquarium. Wenn du erreichen willst, dass der Schlamm auf den Aquariumboden sinkt, damit du die Fische deutlich erkennen kannst, dann ist das Letzte, was du tun wirst, die Hände ins Schlammwasser zu tauchen und den Schlamm nach unten zu drücken, denn je heftiger du ihn nach unten drückst, umso mehr wirbelst du ihn auf. Vergleichbar damit, willst du vielleicht ein negatives Gefühl „nach unten drücken“ – also unterdrücken –, um es zu kontrollieren. Doch je mehr du es versuchst, umso stärker dringt das Gefühl wieder an die Oberfläche. Was sollen wir also tun? Wie können wir unsere negativen Gefühle besser verstehen und versuchen, sie zu lösen, anstatt sie zu unterdrücken?
Die Antwort ist ganz einfach: Wir brauchen nichts weiter zu tun, als die rohe Energie der negativen Gefühle von sprachlichen Benennungen wie „Wut“ oder „Hass“ zu befreien und sie dann ruhig zu beobachten, bis die Energie sich in etwas anderes verwandelt. Wichtig ist, sich nicht an Begriffen wie Wut, Hass oder Eifersucht festzuhalten, sondern stattdessen die rohe Energie hinter diesen Bezeichnungen zu betrachten. Denn die Energie verändert sich kontinuierlich – wenn auch vielleicht nur ganz subtil –, wohingegen die Benennung unverändert bleibt. Wenn du die Benennung „abschälst“ und mit der Rohenergie in Kontakt kommst, erkennst du bald, dass das dieses Gefühl nur vorübergehend ist und sich ohne dein Zutun verändert.
Darum sollten wir das negative Gefühl – zum Beispiel Wut – einfach widerspiegeln und leidenschaftslos beobachten, wie ein Spiegel, der das, was vor ihm ist, reflektiert, ohne es zu beurteilen oder sich mit dem Bild zu identifizieren. Du wirst feststellen, dass der Zorn langsam seine Form verändert und entweder eine tiefere Gefühlsschicht zutage fördert oder aber von selbst verschwindet. Falls eine tiefere Schicht zutage tritt, verfahre damit ebenso wie mit dem Zorn.
Wenn du versuchst, etwas zu verstehen, ist es oft das Einfachste, vorgefasste Meinungen beiseite zu schieben und das Untersuchungsobjekt ruhig zu beobachten, sodass es das, was du verstehen willst, preisgibt. Statt in das Schlammwasser deiner Gefühle einzutauchen, um das Objekt zu „fassen“, beobachte es von außen und warte, bis es sich setzt und von selbst transformiert. Wie der spirituelle Lehrer Jiddu Krishnamurti sagte: „Reine Aufmerksamkeit, ohne Urteilen, ist nicht nur die höchste Form menschlicher Intelligenz, sondern auch Ausdruck der Liebe. Beobachte aufmerksam und liebevoll die sich wandelnde Energie, während sie sich in deinem geistigen Raum entfaltet.
Manche fragen sich jetzt bestimmt: „Was ist denn schon so großartig daran, einfach zu beobachten? Heißt das nicht, dass man der Realität ausweicht?“ – Genau das Gegenteil ist der Fall: Wir weichen ihr dadurch nicht aus, sondern blicken sie direkt an. Statt ohne es zu merken von dem Gefühl erfasst zu werden, erkunden wir es und spüren dann, was da ist. Wenn du vertrauter mit dieser Vorgehensweise wirst, erkennst du, dass das negative Gefühl keine feststehende Realität ist. Es entsteht und vergeht ganz natürlich im Raum deines Gewahrseins, unabhängig von deinem Willen. Bist du erst einmal zu dieser Wahrheit erwacht, wirst du nicht mehr von negativen Gefühlen beherrscht und kannst sie wie vorüberziehende Wolken betrachten, statt dich mit ihnen als prägenden Bestandteil deiner selbst zu identifizieren. Kämpfe nicht gegen deine negativen Gefühle an. Beobachte sie und schließe Freundschaft mit ihnen.
„Die schönen Dinge siehst du nur, wenn du langsam gehst“ von Haemin Sunim, erschienen im Scorpio-Verlag.

Soeben ist das Buch von Haemin Sunim „Die schönen Dinge siehst du nur, wenn du langsam gehst“ auch auf Deutsch erschienen.
Titelbild/Grafik aus: „Die schönen Dinge siehst du nur, wenn du langsam gehst“ von Haemin Sunim, erschienen im Scorpio-Verlag
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