Spiritualität und Ökologie sind die beiden wichtigsten Bewegungen unserer Zeit. Spiritualität weist den Weg nach innen und versucht, die Bedeutung des Inneren in seiner Komplexität oder Einfachheit zu erfassen, während die Ökologie die Bedeutung unseres Bezugs nach außen in seiner ganzen Komplexität zu erfassen versucht. Beide Ausrichtungen sind sich insofern ähnlich, als sie die Grenzen der Einzelexistenzen überschreiten und sie als Teil eines oder mehrerer Ganzen erfassen. Sie verstehen das Leben als unaufhörliche Bewegung und jeden Teil darin als Holon, das heißt als etwas, das zusammengesetzt ist aus Teilen, aber auch selbst Teil ist von wieder anderem. Trotzdem haben die Anhänger der beiden Ausrichtungen im typischen Fall keine hohe Meinung voneinander: Die ökologisch-politisch Aktiven zeihen die Spirituellen der Weltflucht; die Spirituellen werfen den politisch Tätigen oberflächlichen Aktionismus vor, der fruchtlos bleibt, weil der Blick sich nicht auch nach innen richtet.
WEG NACH INNEN
Im Frühjahr 1976 war ich in ein buddhistisches Kloster in Bangkok eingetreten. Ich hatte pabbajja genommen („Hinausgehen in die Heimatlosigkeit“), ohne zu wissen, ob das nur ein Aufenthalt auf Zeit sein würde, wie das für die jungen Männer in Thailand üblich ist, oder auf Dauer, vielleicht lebenslang, wie man es von den Mönchen in Europa kennt. Das Spirituelle, der Blick nach innen, das Gewinnen von Weisheit, die Erleuchtung waren mir das Wichtigste im Leben geworden, die Belange der Außenwelt waren für mich sekundär. Nach ein paar Monaten im Kloster machte ich zum ersten Mal wieder einen längeren Spaziergang in die Stadt und nutzte die Gelegenheit für einen Besuch in der englischsprachigen Buchhandlung der Stadt. Buchhandlungen waren für mich als Student Tempel des Wissens und der Entdeckerfreude gewesen. Wir hatten zwar im Kloster eine gute Bibliothek auf Thai, Englisch und Pali, aber die enthielt nur spirituelle Literatur. Da ich die Sprache Thailands kaum verstand, steuerte ich bei meinem Stadtausflug zielsicher auf Bangkoks damals einzige englischsprachige Buchhandlung zu, die wirklich gut ausgestattet war, und blieb vor den Regalen mit ökologischer Literatur fasziniert stehen.
VERWANDLUNG AUCH AUSSEN
Gleich gegenüber unserem Kloster hatten wir ein „Meditationsmuseum“, in dem der menschliche Körper in allen Stufen der Verwesung gezeigt wurde, mit dem Ziel, dadurch die Anhaftung zu mindern. Das Leben ist vergänglich, und der Körper eines Lebewesens ist kein wirklich separates Gebilde, zudem ein sehr verletzliches, und er hat nur eine Zeitlang Bestand, dann dreht sich das Rad des Werdens weiter; Erde wird zu Erde, Staub zu Staub. Hier nun, im Regal der Öko-Bücher, fand ich all das bestätigt: Tiere essen Pflanzen, und ihre Ausscheidungen sind wieder Nahrung für Pflanzen; es gibt Wasserkreisläufe, Nahrungskreisläufe und Nahrungsketten; auch Sauerstoff, Kohlendioxid, Kohlenstoff und fast alle anderen chemischen Elemente stehen in Kreisläufen. Der Mensch ist eigentlich nur ein Fließgleichgewicht, dessen Materie sich je nach Art der Zellen in Tagen, Monaten oder Jahren völlig austauscht. Wir sterben nicht, wir verwandeln uns nur, und auch geistig sind wir Fließgleichgewichte: Unsere Gedanken haben wir von woanders her, so wie die Worte unserer Sprachen, und wir geben sie an andere weiter. Alles, was in diesen wissenschaftlichen Büchern stand, vor allem in den Ökologiebüchern, bestätigte auf`s Plausibelste die Kernidee des Buddhismus: Es gibt kein Selbst, nichts hat Bestand, alles fließt.
DIE NATUR ALS HEIMAT
Mit einem Mal waren mir die Jahre des Studiums der Naturwissenschaften wieder präsent, in denen ich „Die Einheit der Natur“ gesucht hatte, wie sie schon von Carl-Friedrich von Weizsäcker in seinen Büchern beschrieben wurde, die ich mit 16 zu lesen begonnen hatte. Und auch das: Die Jahre, in denen ich als Kind so sehr unter der Umweltzerstörung gelitten hatte, waren wieder präsent. Geborgenheit und Frieden hatte ich mehr in der Natur als in meiner Familie gesucht und gefunden und war als Jugendlicher lieber unter Tieren und Pflanzen als unter Menschen. Als dann im Wald hinter unserem Haus für ein Erholungsgebiet ein großer Parkplatz angelegt wurde, hatte ich das als Einschnitt in die Natur empfunden, fast so als würde mir selbst ins Fleisch geschnitten mit diesem künstlichen Gebilde aus Asphalt und Schotterwegen, auf denen nun nichts mehr wuchs. Ein paar Monate nach dem Besuch in der Buchhandlung von Bangkok hatte ich das Kloster verlassen und war wieder zum Reisenden geworden – nun wieder näher an der Natur – und zog die Westküste der Halbinsel von Malakka entlang nach Süden. Hatte Pflanzen, Tiere und Menschen um mich und jeden Tag neue Eindrücke. Ein Nomadenleben. Die Suche nach Heimat war wieder ganz zur inneren geworden, kein Einnisten mehr in etwas Äußerem.
EMPÖRT EUCH!
Heute beobachte ich, wie sich Spiris und Ökos immer näher kommen. Könnte es nicht ein bisschen schneller gehen? Dabei geduldig zu bleiben fällt mir schwer. Stéphane Hessels ungeduldiger Aufschrei „Empört euch!“ liegt mir viel näher am Herzen. Den Zustand der Erde in den täglichen Nachrichten mitzuverfolgen und ihn auch selbst zu beobachten, daheim und auf Reisen, und dabei ruhigen Mutes und optimistisch zu bleiben, wer kann das ohne abzustumpfen? Und doch gibt es auch positive Zeichen. Mitte der 90er Jahre habe ich ein Sonderheft zum Thema „Spiritualität und Ökologie“ produziert, weil ich das für das wichtigste Thema unserer Zeit hielt. Es wurde eines unserer am schlechtesten verkauften. Heute ist das Thema in allen Medien und in aller Munde. Wer in der Ökopolitik oder für gesunde Nahrungsmittel aktiv sein will ohne dabei auszubrennen (Burnout), muss spirituell verankert sein, sonst ist diese Arbeit nicht auszuhalten.
WIRTSCHAFTSKONFORME ESOTERIK
Die Welt wird heute von Konzernen, international tätigen Konglomeraten und mafiösen Strukturen regiert, wie etwa dem militärischindustriellen, dem medizinisch-pharmazeutischen oder dem Nahrungsmittel erzeugenden Komplex. Die nationalen Regierungen sind verschiebbare Gebilde geworden im Spiel dieser Global Players. Eine international koordinierte Ökobewegung gibt es – trotz Attac – nicht, und noch viel weniger gibt es eine international koordinierte spirituelle Bewegung. Es gibt Einsichten von Einzelnen, und es gibt auch neue Paradigmen, die die Massen bewegen, aber solche setzen sich nur dann durch, wenn sie mit unserer Wirtschaftsform konform gehen, wie etwa das Eso-Klischee „Deine Wirklichkeit erschaffst du dir selbst“. Das ist ja nicht ganz falsch, es ist aber auch nicht ganz richtig. Außerdem ist es die perfekte Ausrede für ein Achselzucken gegenüber den Menschen, denen es, esomäßig gesprochen, in unserem Wirtschaftssystem partout nicht gelingt, sich ihre Wünsche zu erfüllen, oder die sogar „zum Sozialfall“ geworden sind, wie man das im Soziologendeutsch nennt.
HAND IN HAND FÜR EINE BESSERE WELT
Weise, geht in die Politik, und Politiker, werdet weise, Wissen allein genügt nicht! Der Aufruf ist alt, und ich würde ihn heute so formulieren: Wissenschaftler, wendet euch der Ethik zu – sie kann unideologisch und religionsneutral behandelt werden. Von den Religionen ist in der Hinsicht nicht viel zu erwarten. Allenfalls von denen, die sich in Richtung auf das Transkonfessionelle bewegen. Und dann wird nur das Formlose übrig bleiben, die transkulturelle Meditation, die Mystik. Das wird dann auch der Umwelt helfen können, der Natur und unserem Überleben auf der Erde. Kein Katechismus, kein Koranstudium und auch die alten Veden können das nicht leisten. Die Spiritualität muss erstens transkonfessionell werden und zweitens politisch aktiv, so wie die engagierten Buddhisten und die in den NGOs (Nicht-Regierungsorganisationen) engagierten Christen es bereits sind. Beheimatet zu sein in einer Region, einer Sprache und einer favorisierten spirituellen Praxis ist natürlich und gesund, aber das Verständnis des Ganzen muss diese in gewisser Hinsicht gesunden Anhaftungen transzendieren. Dann können die politisch aktiven Ökos und die sich in ihr Inneres vertiefenden Spiris Hand in Hand zusammenarbeiten für eine bessere Welt. Das Internet wird dabei sehr nützlich sein.
DER AUTOR:
Wolf (Sugata) Schneider, Jg. 1952. Autor, Redakteur, Kursleiter. Studium der Naturwissenschaft und Philosophie (1971-75) in München. 1975-77 in Asien.
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