Wenn Liebe und Sexualität zusammenkommen
Sex ist überall: Im Internet wird kein Stichwort häufiger aufgerufen als Sex. Sex finden wir auf Plakaten, in der Werbung, in unseren Köpfen – er prägt unsere Beziehungen, unsere Wünsche, unsere Selbstbilder, sogar unsere Art, uns zu kleiden. Die üblichen Darstellungen und damit verbundenen Geschichten propagieren Sex als schnell, heftig und ekstatisch, die Bilder, die dadurch in unseren Köpfen entstehen, zeigen Wirkung in unserer eigenen Sexualität. Das Wesentliche, nämlich innere Berührung, Intimität und Präsenz, geht verloren oder kann gar nicht erst entstehen.
In ganz unterschiedlichen Lebensbereichen lassen sich mehr und mehr die Attribute Achtsamkeit oder auch Bewusstheit finden. Nur das Thema Sex, was sich bekanntlich besser verkauft als alles andere und die Menschen noch mehr beschäftigt als Glück und gutes Essen – in diesem Bereich geht es merkwürdigerweise nicht um bewusste Achtsamkeit und Liebe, sondern um permanente Ekstase, um Pornografie und Sado-Maso-Praktiken, multiple Orgasmen und ähnlich vielversprechende Zustände. Was läuft da schief?
Der kollektive Glaubenssatz unserer Industriegesellschaft, der Leistung und Erfolg zum Hauptziel und Sinn unserer Aktivitäten macht, scheint nahtlos auf unseren Umgang mit Sexualität übergegangen zu sein. Die Überstimulation durch Waren und Angebote finden wir in der Suche nach ekstatischem, heftigem, schnellem und möglichst immer verfügbarem Sex wieder, Sexspielzeuge gehören beinahe zum guten Ton, Werbung für Parfum und Schokolade ist erotisch, beinahe pornografisch aufgeladen und wir finden das alles ganz normal. Und auch wenn wir es nicht normal finden, so sind wir dennoch davon umgeben und unsere inneren Bilder werden entsprechend geprägt. Aus der sexuellen Befreiung ist schon fast eine gesellschaftliche Hochleistungssportart geworden, in der wir alle irgendwie versuchen, mitzuspielen – am besten natürlich als Gewinner und beste Liebhaber.
Mit erfüllter Sexualität und Liebe, mit Begegnung und echtem Kontakt, mit Achtsamkeit und Bewusstheit hat das alles leider meist wenig zu tun. Trauriges Fazit: Eine der kostbarsten menschlichen Ressourcen, nämlich die, genussvoll in unseren Körpern zu wohnen und dies miteinander zu teilen, wird hoffnungslos verschüttet. Die Sexual- und Körpertherapeutin Diana Richardson und ihr Mann Michael haben über viele Jahre hinweg eine Methode entwickelt, die bekannt geworden ist als Slow-Sex. Ein Ansatz, der uns für authentische Sexualität öffnen kann, besser: für Liebemachen. Hier geht es nicht in erster Linie um körperliche Aktivität, sondern darum, einander tief und wirklich, körperlich und seelisch zu berühren.
Achtsame Wahrnehmung des eigenen Körpers, das Bewusstsein schulen für den Moment und für die Empfindung, die in der Begegnung jetzt gerade auftaucht. Das ist ein Ansatz, der von den geprägten Bildern im Kopf wegführt hin zum tatsächlich erlebten Moment. Das ist für Paare zunächst ziemlich ungewohnt, weil wir alle von kollektiven und individuellen Konzepten geprägt sind und wenig darin geübt, uns Zeit zu lassen für das, was wir gerade real empfinden. Viele Paare wünschen sich meist sehnlich, sich körperlich und seelisch zu begegnen. Dass das erlebbare Realität ist, wird im Film Slow Sex von Diana Richardson anschaulich dokumentiert. Hier äußern Paare, die sich auf den Weg gemacht haben, mehr Bewusstheit in ihre Sexualität zu bringen durchweg, dass Slow-Sex nicht nur den Sex, sondern ihr gesamtes Paarleben verändert und auf großartige Weise bereichert. Die körperliche Liebe wird zu einer natürlichen Ressource. Das hat nichts mit ausgefeilten Techniken zu tun, sondern mit Körperbewusstsein, Präsenz und Achtsamkeit.
Eine wesentliche Zutat ist genug Zeit haben, denn unsere gewohnte Schnelligkeit im Sex und achtsames, liebevolles Erleben schließen einander beinahe im – mer aus. Bewusste Wahrnehmung benötigt Zeit, Aufmerksamkeit und liebevollen Respekt. Das Herz zu öffnen, den Körper wirklich im Moment zu spüren, die Begegnung, den Kontakt, die Bedürfnisse real entstehen zu lassen und wahrzunehmen, braucht Zeit. So viel Zeit, dass Begegnungsräume entstehen und Räume dazwischen; genug Raum, der erforderlich ist, bei sich selbst anzukommen, genug Raum für die Begegnung. Deshalb ist Langsamkeit, die durch Bewusstheit und Achtsamkeit erst entsteht, ein wesentliches Merkmal erfüllter Sexualität. Paare, die ihre Sexualität bewusst und achtsam leben, erfahren sie immer wieder als sehr entspannende und erfüllende Kraft – und schaffen so die Grundlage für eine Partnerschaft, in der Liebe, Nähe und Intimität wachsen und sich entfalten können.
Der Ansatz Slow Sex reicht weit über die körperliche Ebene und das herkömmliche Verständnis von Sexualität hinaus und bringt für Männer und Frauen zusammen, was als große Sehnsucht in vielen schläft: die natürliche Verbindung von Liebe und Sexualität.
DIE AUTORIN:
Ela Buchwald ist Heilpraktikerin und und ausgebildet in Bewusstseins- und Körperarbeit. Sie ist 2003 dem Ansatz von Slow Sex begegnet und forscht seitdem auf dem Gebiet von Liebe, Körper und Bewusstsein.
Kontakt
Web: www.einfach-liebe.de