Genau 30 Jahre ist es nun her, dass die erste Ausgabe von „Die Kunst zu leben” erschien. Ich werde oft gefragt, wie ich auf die Idee kam, dieses Anzeigenmagazin herauszugeben und wie das alles damals so war. Aus diesem Grund habe ich einen kleinen Rückblick auf die Anfänge und die Situation in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts geschrieben.
Die Vorgeschichte. Eigentlich hatte ich mein Leben damals anders geplant: Ich arbeitete als Förderlehrerin an einer Grundschule in Nürnberg und erhielt mit 27 Jahren meine Urkunde als Beamtin „auf Lebenszeit“. Etwas trieb mich im Inneren allerdings mit aller Kraft dazu an, einige Tage nach diesem Ereignis meinen Beamtenstatus aufzukündigen, weil mir sehr klar wurde, dass dieser nicht zu meinem Lebensweg passte und schon gar nicht zu meiner großen Sehnsucht nach Freiheit. Ich wollte noch so vieles ausprobieren…. Man hielt mich für ganz schön neben der Spur.
Ich lebte dann einige Zeit als Sannyasin in einem therapeutischen Zentrum und war sehr an den Möglichkeiten und Methoden der Selbsterfahrung und -entwicklung interessiert, nachdem ich schon einige Jahre die damals populäre Gestalttherapie sowie Reiki praktiziert hatte. Es war eine wunderbare und verrückte Zeit. Aber auch hier wurde es mir im Laufe der immer rigider werdenden Entwicklung in der Sannyasbewegung zu eng und ich zog weiter. Ich fand einen Job als freiberufliche Korrektorin bei verschiedenen Verlagen, aber ich war auf der Suche nach etwas, was sinn- und gehaltvoller war und meinem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung und Spiritualität eher entsprach. 1984 gründete ich – neben meinem Job, mit dem ich Geld verdienen musste – zusammen mit Wolf Schneider die spirituelle Zeitschrift „Connection“ – beide ohne jegliche fachlichen Vorkenntnisse. Nach eineinhalb Jahren zog ich mich aus dem stressigen Verlagsleben zurück und war wieder einmal auf der Suche.
Sommer 1986.
Nachdem ich einen Monat lang ein Training in „Psychic Massage“ am Lago Maggiore absolviert hatte, fuhr ich weiter nach Freiburg, um meine Freunde zu besuchen. Bei einem abendlichen Stadtbummel fiel mir irgendwie und irgendwo ein Flyer in die Hände, auf dem mehrere Therapeuten gemeinsam ihre Angebote bewarben. In diesem Augenblick machte es Klick und ich wusste: Ich werde in München ein Infomagazin für den Bereich Selbsterfahrung, Therapie, Gesundheit, Kreativität u.v.m. herausgeben. Anfangs konnte ich noch das Büro der Connection in der Reichenbachstraße benutzen und hatte mittlerweise etwas graphisches und redaktionelles Know-how gesammelt, was mir die Sache sehr erleichterte. Mein Baby nannte ich „Therapie & Selbst erfahrung in München“ – und nun brauchte ich Anzeigenkunden! In das erste Mailing schrieb ich ganz mutig, dass sämtliche Anzeigen im Voraus bezahlt werden müssten – ich hatte nur etwa 50 DM Startkapital zur Verfügung. Und meine ersten KundInnen haben das auch wirklich ohne Murren getan!
Ich tippte die Texte auf einer damals sehr fortschrittlichen Typenrad-Schreibmaschine mit den Schriftvariationen Kursiv und Fett sowie zwei oder drei verschiedenen Schriftarten in jeweils drei Spalten ein. Das Format war zu jener Zeit bereits das gleiche wie heute, nur blätterte man die Seiten nach oben. Bei einem Schreibfehler musste ich die jeweilige Spalte immer noch einmal von vorne beginnen – was natürlich nicht selten der Fall und äußerst nervend war. Diese Papierstreifen wurden dann zusammen mit den Grafiken und aufgerasterten Fotos auf ein Millimeterpapier aufgeklebt. Dann ging der ganze Stapel an Blättern in die Druckerei. Ich konnte es kaum erwarten, bis ich die erste, 20-seitige Ausgabe der „Therapie & Selbsterfahrung in München“ in den Händen hielt! Ich war wirklich sehr stolz! In einer Auflage von 4000 Stück verteilten wir die Broschüre in einschlägigen Buchhandlungen, Geschäften, Praxen und Naturkostläden (von denen es damals allerdings noch kaum welche gab, und von den wenigen wollten viele von diesem „Schmarrn“ nichts wissen!). Stolz war ich auch, als ich bei der dritten Ausgabe zu meinem Drucker ging und mir von ihm die Rubriknamen „so ganz echt” drucken ließ – what a feeling!
Natürlich konnte ich nicht von den Einnahmen leben und verdiente mein Geld noch immer hauptsächlich mit Korrekturlesen und Lektorieren von Büchern und Zeitschriften. Der große Sprung kam 1990…
1990 bis heute.
1990 zog ich mit meinem Mann nach Puchheim, wo im Sommer unsere Tochter Jana auf die Welt kam. Ich kaufte meinen ersten Mac – damals ein echt revolutionäres Gerätchen – und die gesamte Produktion der Broschüre nahm nun völlig neue Formen an. Außerdem konnte ich die Auflage erhöhen, und die Einnahmen durch das gestiegene Anzeigenvolumen erlaubten es mir, meinen Job als Korrektorin aufzugeben. 1992 änderte ich den Namen in „Die Kunst zu Leben“, und der Verteilerkreis dehnte sich allmählich von München auf den gesamten südbayerischen Raum aus. Die grafische Ausgestaltung übernahm nun Ulrike Bürger, eine sehr gute, professionelle Grafikerin, die viele Jahre das Layout der Kunst zu leben gestaltete.
Als wir 1996 nach Siggenhofen (Nähe Markt Schwaben) zogen, bekam ich ein schönes großes Büro und, nachdem sich die Kunst zu Leben nun immer besser entwickelte, auch Unterstützung durch nette Menschen, die mir bei der Verwaltungsarbeit und im Vertrieb halfen und noch im – mer helfen. 2007 verließ uns unsere langjährige Grafikerin und meine damals 17-jährige Tochter Jana übernahm die grafische Ausgestaltung und macht dies noch immer sehr gerne und gut. In diesem Jahr richteten wir dann auch unsere Website www.die-kunst-zu-leben.de ein, auf der die jeweils aktuelle Ausgabe sowie ein Archiv mit älteren Broschüren, redaktionelle Bei – träge und vieles mehr zu finden ist. Es gab mittlerweile auch die Ausgaben Baden- Württemberg, Nordbayern und Ostbayern, die von einigen Franchisenehmerinnen regional herausgegeben wurden, sich aber leider allesamt nicht sehr lange hielten.
Warum „Die Kunst zu Leben”?
Es war gar nicht so einfach, damals einen Titel zu finden, der diese Broschüre benennen sollte. Gesundheit, Lebensfreude, Achtsamkeit, Selbsterfahrung, Genuss, Freude an Körper, Geist und Seele, Offenheit für Neues – das alles sollte dieser Titel umschreiben. Ich blieb bei „Die Kunst zu Leben” hängen, denn all dies ist nicht einfach selbstverständlich in uns vorhanden, sondern muss – wie jede andere Kunst auch – erlernt werden. Wenn man Glück hat, wird die Fähigkeit zur Lebenskunst durch Erziehung vermittelt, aber jede/r von uns weiß, dass das keine Selbstverständlichkeit darstellt. Im Gegenteil, zumeist muss man sich von vielen Elementen der Erziehung, sei es nun Elternhaus oder Schule, erst wieder lösen, um sich selbst erfahren zu können. Man muss sich sozusagen frei schaufeln, um eine eigene Weltanschauung, eigene Werte, eben die eigene Kunst zu Leben zu finden und – wie ein Künstler – in eine individuelle Form zu bringen.
1986 – 2016: Die Entwicklung eines neuen Bewusstseins.
Themen wie z.B. alternative Heilmethoden, Intuition, Familientherapie, Yoga oder Meditation – heute in fast jeder Fernsehzeitschrift zu finden –, muteten in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts eher exotisch an. Damals schwappte gerade die Welle des „New Age“ aus Amerika zu uns herüber. Es wurden auf einmal Seminare und Sitzungen angeboten, um ein neues Bewusstsein zu erreichen, ein glückliches und erfülltes Leben zu erlangen und sich der bislang mitgeschleppten Last der Vergangenheit zu entledigen. Meditation, Tanz, Astrologie, Yoga, Tai Chi, vegetarische Ernährung, Körper- und Atemarbeit oder Selbsterfahrung tauchten auf in einer Zeit, die bislang sehr einseitig auf An passung, Erfolg und materiellen Aufschwung ausgerichtet war. Viele der meist jüngeren Leute, die sich von dieser neuen Bewegung angezogen fühlten, kamen aus der politisch linken Ecke, deren intellektuelle Konzepte unbefriedigend geworden waren, oder aus der Hippiebewegung der 60er und 70er Jahre; oft war man einfach auf der Suche nach Sinn und Lebenskunst. Einige reisten auch nach Indien und brachten von dort neue Erfahrungen und Erkenntnisse mit. Es war eine sehr lebendige Zeit, in der man relativ unbelastet vom gesellschaftlichen Moralkodex der Nachkriegszeit sich selbst ausprobieren konnte. Und natürlich fehlten dabei keine Übertreibungen! Die therapeutische Arbeit von damals wäre heutzutage nicht mehr durchführbar, denn es ging dabei nicht immer sanft zu. So war in vielen Seminaren z. B. Schreien und Toben unbedingt erwünscht und dass man sich körperlich angriff, kam gar nicht selten vor.
Mit den Jahren etablierten und verfeinerten sich dann die Methoden zur Erweiterung des eigenen Bewusstseins im mer mehr. So kamen zum Beispiel alte und neue spirituelle Traditionen aus aller Welt dazu, viele verschiedene Formen der Körperarbeit entwickelten sich, die Systemischen Therapien entstanden – „Selbsterfahrung” wurde allmählich gesellschaftsfähig.
Heute – auf der Suche nach???
Ich bin überzeugt davon, dass die damalige Suche, die aus erstarrten und einengenden gesellschaftlichen Strukturen entstand, viele Ansätze für ein neues Bewusst sein geschaffen hat – freiheitlicher, lebensbejahender, mit mehr Sinn und Lebensfreude. Ich finde es spannend, die Entwicklung all dieser Facetten des persönlichen und spirituellen Wachstums zu beobachten. Heutzutage boomt der Buch – markt mit diesen Themen wie nie zuvor, das Angebot an Seminaren, Lebensberatungen und alternativen Gesundheitsangeboten ist groß und bietet für jeden etwas. Und ganz sicher wird sich auch diese Bewegung wieder verändern und Neuem Raum geben – wie, das wird vor allem die jüngere Generation entscheiden.
Stolz und Dankbarkeit.
Ich bin stolz auf diese 30 Jahre Arbeit mit der Kunst zu Leben, stolz darauf, dass die Kunst zu Leben diesen neuen Zeitgeist mit gefördert hat, indem sie entsprechende Angebote und Ideen für Tausende von Menschen verfügbar gemacht hat. Und ich bin sehr, sehr dankbar für diese ereignisreiche Zeit, für die Begegnung mit all den wunderbaren Menschen und für das positive Feedback, das ich immer wieder bekomme. Aus den 4.000 Broschüren sind mittlerweile 24.000 geworden, die mit Hilfe eines groß angelegten Verteilernetzes, ohne das die Kunst zu Leben nicht funktionieren würde, den Weg in Praxen, Läden, Zentren oder zu Veranstaltungen finden.
Auch nach 30 Jahren freue ich mich über jede neue Ausgabe, über die Zusammenstellung der redaktionellen Beiträge, die vielen großen und kleinen Anzeigen, die den Weg in die Kunst zu Leben finden, über die zahllosen Kontakte zu meinen Kunden, die ich so sehr genieße und die mich immer wieder bereichern. Und ich hoffe auch heute noch, dass die vielen Angebote in den Anzeigen, die Artikel und Beiträge möglichst viele Menschen dazu inspirieren, ihrem Leben mehr Aufmerksamkeit und Freude zu schenken und sich selbst Gutes zu tun.
DIE AUTORIN:
Claudia Meißner – seit 30 Jahren Herausgeberin von „Die Kunst zu Leben”