Ewig jugendlich? Auch im Sex? Jugendlich zu wirken mit Mitte 40 scheint cool. Wir lieben dieses Bild von uns, denn Jugendliche sind wild, frei, ungebunden und unbekümmert, ihnen stehen (scheinbar) alle Türen offen, sie scheren sich wenig um Tradition und drehen sich in erster Linie um sich selbst. Das bedeutet für sie Freiheit. Mit Erwachsensein hat das eher weniger zu tun und das ist für Jugendliche völlig in Ordnung. Nachdenklich macht eher, dass wir diesen Status beibehalten wollen bis ins Greisenalter. Kann es sein, dass wir uns kollektiv weigern, erwachsen zu werden? Kann es sein, dass wir in erwachsenen Körpern leben (und altern), aber geistig-seelisch darauf bestehen jugendlich zu bleiben? Und das vor allem im Sex?
Es sieht so aus, denn eigentlich können wir unsere Gemütszust.nde im Sex nicht als erwachsene Bedürfnisse bezeichnen: die aus geprägte Begierde nach (Dauer-)Ekstase, die Jagd nach immer neuen Höhepunkten und immerwährender Lust, verbunden mit stetigem Konsum diverser Hilfsmittel wie Porno oder Sexspielzeug. Eigentlich sind wir, was Sex angeht, von innerer Getriebenheit bestimmt. Dem Getrieben-Sein nach Mehr, nach Höher-Schneller-Weiter setzen wir meist nichts entgegen. Schlimmer noch, wir haben das Gefühl, dies sei normal. Weil das alle tun. Aber ist das erwachsen? Reif? Bewusst?
Interessanterweise stehen jugendliche Eigenschaften nicht nur im Sex hoch im Kurs: Als Gesellschaft, der der Nachwuchs fehlt und die zunehmend beginnt zu vergreisen, lieben wir die Jugendlichkeit. Wir färben Haare, straffen Bäuche, stählen Muskeln, buchen prickelnde Outdoor-Abenteuer, feiern uns bis zur Erschöpfung, tragen Jugendkleidung – das alles tun wir in der unbewussten Hoffnung, das Altern würde uns nichts anhaben können. Wir fahren so schnell Rad wie mit sechzehn (allerdings mit Hilfsmotor), sind immer fit, aktiv, neugierig auf alles, was neu und en vogue ist, verwechseln unsere Kinder mit Freunden und wollen nicht sehen, wie absurd das alles ist.
Natürlich werden wir heute anders alt als noch unsere Eltern das taten – das neue 60 ist das frühere 50, mag sein. Wir sind auch fitter, frischer, aktiver, weil wir keinen Krieg erlebt haben und mehr über Gesundheit und uns selbst wissen als jede Generation davor. Und doch bleibt es dabei: Wir altern, unsere Körper verändern sich, wir sind nicht ohne Ende elastisch-jugendlich, weder körperlich, noch mental … aber seelisch?
Als reifer erwachsener Mensch bin ich mir meiner Bedürfnisse und Begrenzungen bewusst – Verhältnisse, gegen die wir als Jugendliche noch rebelliert, die wir als einengend, spießig und uncool bewertet haben, können sich Stück für Stück als sinnvoll und bereichernd erweisen. Als junger Mensch ist es normal und wohl notwendig, den eigenen Trieben zu folgen oder Dinge zu tun, von denen auch manchmal Gefahr ausgehen kann. Das innere Hormonchaos, in dessen Schatten kein Mensch mehr weiß, wo oben und unten ist, zeigt sich in voller Blüte, wir nennen das Unreife. Kein Problem, sondern ein normaler Entwicklungsschritt. Komisch wird es nur, wenn dieser Geisteszustand im Erwachsenen weiter kultiviert wird. Wenn Sex gelebt wird, als wäre ich 16, obwohl ich 46 bin, wenn ich immer noch das Gleiche will wie früher, als ich pubertär war.
Sich seiner selbst bewusst zu sein, die eigenen Bedürfnisse zu kennen und manche als das zu entlarven, was sie sind: altes Zeug, das sich als Bedürfnis tarnt, könnte ein Zeichen gelungener Persönlichkeitsentwicklung sein. Wer als Erwachsener dauerhaft beschäftigt ist, Höhepunkte zu suchen, auch im Sex, folgt einem gesellschaftlich sehr anerkannten vermeintlichen Bedürfnis: dem nach Ekstase. Die Sehnsucht nach tiefer Nähe, Liebe und Verbundenheit muss dann leider draußen bleiben, kann im schnellen Sex nicht gestillt werden. Multiple Orgasmen mögen fulminante Implosionen sein, weil ein zugespitztes Nervensystem sich feuerwerkähnlich entlädt – aber ob ein Dauerfeuerwerk zu echter Nähe und Vertrautheit führt, kann bezweifelt werden. Das hat eher wenig mit gelassener Reife zu tun.
Erwachsener Sex ist keine Jagd, ist nicht damit verbunden, eine Beute zu erlegen. Erwachsensein und entspannter Sex ist ein wirklich großes Abenteuer für Menschen, die dem Jugendwahn nicht auf dem Leim gehen. Erwachsener Sex ist gelassen, wach und lebendig – körperlich gelebte Liebe, die fühlt und tief berührt. Entspannter Sex macht gelassen und frei – so einfach ist das. Frei von Erwartungen. Frei von Zielen. Frei von allem, was nicht in den Moment der Begegnung gehört. Auch frei von inneren Bildern, wie was zu sein hat. Denn wenn sich zwei Menschen im Sex treffen und entspannt sind, sind sie ganz da. In jedem Kuss, in jeder Berührung. Jetzt. Nicht im Ziel, das gemeinhin Orgasmus heißt – denn mit Ziel bin ich immer beschäftigt, alle Strippen zu ziehen, die es braucht, um mein Ziel zu erreichen. Entspannte Sexualität zu leben heißt, lebendiger und empfindsamer für die Schönheit der körperlichen Liebe zu werden. Und das ist ein sehr erwachsenes Erleben. Entspannte Sexualität steht für waches und mutiges Erwachsensein. Für Reife. Für echte, frische, nährende Lebendigkeit und Tiefe. Für körperliche Liebe, die wir bekanntlich Sexualität nennen.
DIE AUTOREN:
Ela & Volker Buchwald unterstützen Paare, ihre Liebe und Sexualität herz erfüllend, lebendig und nah zu erfahren.
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