Was unser Lifestyle mit Sex zu tun hat
Lifestyle, auf Deutsch Lebensstil, sind coole Worte, hören sich frisch und frei an. Wir verbinden damit Smoothies und Power-Food, Chillen im Wald oder Yoga an menschenleeren Stränden, mit dem E-Bike locker durch die Stadt gleiten, schön und gepflegt sein. Weil wir aber auch nachhaltig leben wollen, gehört natürlich Ökologie und alles, was damit zu tun hat, auch dazu: Wir vermeiden Plastik, kaufen Obst ohne Tüte (oder haben zumindest die Idee, das zu tun) und denken darüber nach, wie wir weniger CO2 verbrauchen können.
Auf der gesundheitlichen Ebene sieht das in der Praxis so aus: Wir kennen mindestens drei verschiedene Arten, uns zu entspannen, vier Atemtechniken, fünf Rückenübungen, sechs Osteopathen und sieben Arten, zum Orgasmus zu kommen… ach ja, denn guten Sex zu haben, gehört irgendwie auch zum coolen Lifestyle. Wobei nicht so richtig klar ist, wann Sex eigentlich richtig gut und cool ist. Zumindest gehen da die Meinungen weit auseinander. Ziemlich einig sind sich die verschiedenen Geister aber doch darüber, dass guter Sex immer mit einem Orgasmus endet. Merkwürdig, dass wir auf allen Ebenen entspannen wollen, überall darüber nachdenken, was wir weglassen können, nur im Sex gibt es immer mehr Skills, die wir meinen zu brauchen, damit er Spaß macht. Entschleunigung und Work-Life-Balance tauchen an jeder Ecke auf und damit sind wir sehr beschäftigt. Nur im Sex bleibt alles im Wesentlichen gleich – Turbogang.
Was für eine ungewohnte Vorstellung, es gäbe nachhaltigen und entschleunigten Sex, der uns nicht aufregt, sondern wirklich in der Tiefe entspannt und unsere Ressourcen schont. Die Vorurteile sind überall gleich: Gesundes Essen ist gesund, aber schmeckt nicht, Wandern ist ökologisch, aber auch eher was für Rentner, keinen Müll produzieren ist auf jeden Fall anstrengend und entspannter Sex kann ja nur langweilig sein. Und es sind nicht nur die Vorurteile, die sich ähneln, sondern auch das, was dahinter liegt, wenn wir uns wider besseren Wissens benehmen – es sind schlicht Gewohnheiten, die es uns schwermachen, unser Verhalten zu ändern. Schlimmer noch: Wir halten unsere Gewohnheiten für Bedürfnisse. Und als aufgeklärte Individuen im 21. Jahrhundert sind wir davon überzeugt, dass es wichtig ist, unseren Bedürfnissen zu folgen.
Zurück zum Sex: Ein wesentliches Bedürfnis, das die meisten Menschen als sehr zentral empfinden, hat mit Sex zu tun – und dem Orgasmus. Im Sprachgebrauch nennen wir Sex befriedigend, wenn ein ordentlicher, vielleicht sogar multipler oder kosmischer Orgasmus das Liebesspiel beendet. Ein Blick in die Neurowissenschaft zeigt: Dieses scheinbare Bedürfnis ist gut in unseren Hirnstoffwechsel eingebaut und damit das so bleibt, wird die Schleife mit jedem einzelnen Orgasmus verstärkt – das ist wichtig zu wissen! Von unserem messerscharfen Verstand wird das als natürlich deklariert. Fertig die Begründung, warum Sex immer aufregend, geil und orgiastisch sein muss. Fatal, dass wir unseren Sex – diese wunderbare Kraft der Liebe – so wenig nachhaltig aus unserem Gesamt-Lifestyle rausnehmen, unsere Energie verschleudern und weder besonders zufriedenstellend noch ressourcenorientiert handeln.
Was brauche ich wirklich?
In anderen Lebensbereichen ist es nicht immer leicht rauszufinden, was wirklich wesentlich ist. Je nach Lebensart und eigenem Lifestyle sind die Fragen sehr unterschiedlich – und die Antworten ebenfalls. Allen gemeinsam ist die innere Haltung dazu: Wir sind bereit, genau hinzuschauen, was für uns wichtig ist und was nicht. Wir setzen uns der Frage aus, wie gut wir mit unseren (gesundheitlichen und natürlichen) Ressourcen umgehen, weil wir nicht nur ahnen, sondern wissen: Weniger wäre mehr.
Nehmen wir den Sex mal raus aus seiner Extra-Kiste und legen ihn als eigenen Lifestyle-Bereich neben Essen, Wohnen, Leben, ergibt sich schnell die Frage: Wie muss Sex denn sein, damit er zum entspannten Zero-Waste-Lifestyle passt? Vor allem: entspannt. Und bewusst. Und achtsam. Und voller Intimität. Und auf jeden Fall wunderbar saftig, weich, durch und durch liebevoll. Von Moment zu Moment, ohne Stress, ohne Ziel, ohne Technik, ohne Vorgabe – und ja, das geht.
Wie so oft, wenn wir beginnen, eine Gewohnheit in der Tiefe zu verändern, hat das Folgen: Beim Essen merken wir nicht nur, dass uns bestimmte Dinge einfach nicht mehr schmecken, wir bekommen insgesamt ein anderes Gefühl für Nahrung. Entspannter Sex bringt tiefe Veränderungen in der Beziehung und damit im gesamten Leben mit sich. Nicht nur wunderbare Körperliebe, der es gelingt, alles, was an Gefühlen und Wahrnehmungen im Moment da ist, zuzulassen (ja, auch das Schwierige bekommt seinen Platz – dann kann es sich besser auflösen …), sondern auch tiefes Bewusstsein. Entspannter Sex ist eben nicht normaler Sex in langsam – entspannter Sex ist etwas völlig anderes – und das verändert uns.
Eigentlich ist es egal, wo wir anfangen unser Leben bewusster, nachhaltiger und ressourcenschonender zu gestalten – es wird Folgen haben (und zwar gute). Wir verändern uns schrittweise, indem wir unseren Lebensstil auf unsere individuelle Art und Weise verändern. Das ist nicht neu. Wohl aber, Sex mit einzubeziehen – ja, vielleicht sogar mit Sex anzufangen, wenn wir entspannter und bewusster leben wollen. Entspannter Sex verändert nicht nur unseren Hirnstoffwechsel (das ist kein Marketing-Argument, sondern neurowissenschaftlich erwiesen), sondern unsere Art zu leben insgesamt. Und wer einmal eine bestimmte Tür bewusst geöffnet hat, der kann sie nicht mehr wirklich schließen und weitermachen wie bisher. Und das ist gut so. Im Leben und im Sex.
DIE AUTOREN:
Ela & Volker Buchwald unterstützen Paare, ihre Liebe und Sexualität herz erfüllend, lebendig und nah zu erfahren.
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