Eine SEINS-orientierte Psychotherapie
Gestalttherapie ist eine Form der Psychotherapie, die in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts insbesondere von Fritz Perls, einem nach Amerika emigrierten deutschen Juden, entwickelt wurde. Perls war ursprünglich Psychoanalytiker und suchte nach Wegen, Psychotherapie effektiver zu machen. Gestalttherapie arbeitet vorwiegend mit dem, was sich im Hier und Jetzt in der Beziehung zwischen Therapeut und Klient zeigt, und verwendet dabei Techniken aus Psychodrama, Körperarbeit, Gespräch und Arbeit mit kreativen Medien wie zum Beispiel Malen oder Ton.
Ganz wesentlich geht es bei der Gestalttherapie darum, das Gewahrsein für den Körper und für abgespaltene Gefühle zu stärken. Die Gewohnheit vieler Menschen, unangenehme Gefühle nicht wirklich spüren zu wollen, führt zu einem weitgehend verstandesorientierten Leben im Kopf und damit zu einem Lebensgenuss auf Sparflamme.
Ein wesentliches Anliegen der Gestalttherapie ist es daher, Gefühle in ihrer Tiefe wieder erlebbar zu machen und damit mehr Intensität und Buntheit in das Leben einzuladen. Innere Konflikte, die den Lebensausdruck hemmen, werden dabei bewusst gemacht und integriert.
Integrale Gestalttherapie versteht sich als Brückenschlag zwischen Psychotherapie und spirituellen Erkenntniswegen. Persönlichkeitsentwicklung und spirituelle Erfahrung sind ja nicht voneinander getrennte Wege, wie dies häufig angenommen wird. Vielmehr geht es bei beiden um „Bewusstseinsentwicklung“. Integrale Gestalttherapie bietet die Möglichkeit, dem Klienten im Rahmen einer unterstützenden und fördernden therapeutischen Beziehung eine für ihn maßgeschneiderte und undogmatische Kombination aus entwicklungsfördernden Bewusstseinstechniken anzubieten und je nach Situation dabei mehr personale oder mehr spirituelle Gesichtspunkte zu beleuchten. Ich verstehe mich dabei in erster Linie als Entwicklungshelfer und nicht nur als „trouble-shooter“.
Oft ist persönliches Leid, das den Klienten zum Therapeuten führt, von einem höheren Standpunkt aus die Einstiegspforte und Motivation für eine Entwicklung in den spirituellen Bereich hinein. Umgekehrt stehen spirituelle Sucher oftmals mit ihren Erfahrungen und den manchmal heftigen Erschütterungen, die dadurch in ihrem Leben ausgelöst werden, alleine da. Spirituelle Lehrer halten therapeutische Arbeit oft für reine Symptomkuriererei und bieten deshalb oder auch aus Zeitgründen keine individuelle psychologische Betreuung an. Die Schwelle für den spirituellen Sucher, zu einem „normalen“ Psychotherapeuten zu gehen, ist naturgemäß sehr hoch, weil dort häufig das Verständnis für seine Erfahrungen fehlt.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Was hat man sich unter dieser spirituellen Dimension vorzustellen und wie kann man damit in Kontakt kommen? Natürlich gibt es darauf viele Antworten. Viele kennen die Erfahrung, plötzlich in einen anderen Bewusstseinszustand geworfen zu sein. Häufig ist es eine überwältigende äußere Erfahrung: ein Sonnenuntergang, die Begegnung mit einem Menschen oder aber auch eine tiefe Erfahrung von Verlust. In solchen Augenblicken steht der Verstand für eine Weile still und ein tiefer Frieden kehrt ein. Plötzlich wird eine Dimension des Bewusstseins erfahrbar, die immer schon da, aber durch das unaufhörliche Plappern der Gedanken verdeckt war. Wir denken dann häufig, die äußere Situation wäre dafür verantwortlich. Es ist aber vielmehr so, dass wir in solchen Momenten aus unserem Verstandesdenken herausgehoben sind, aus dem ewigen Pendeln zwischen Vergangenheit und Zukunft. Die äußere Erfahrung ist Auslöser, nicht Ursache dieser tiefen Seinserfahrung. Der Erfahrung, dass jenseits des denkenden Verstandes, mit dem wir uns identifizieren, Freiheit, Stille und Frieden ist und dass dies unsere wahre Natur ist. Jenseits von Zeit und Raum. Sich in dieser Bewusstseinsdimension mehr und mehr zu verankern, ist die Motivation für eine spirituelle Suche.
Alles was je geschieht, geschieht hier und jetzt.
Normalerweise empfinden wir dieses Jetzt als flüchtig und mehr oder weniger flach: wie die dünne, blasse Fleischauflage bei einem Hamburger zwischen den Semmelhälften Vergangenheit und Zukunft. Spirituelle Erfahrung zeigt uns jedoch, dass nur durch die intensive Hinwendung zu diesem Augenblick, an das was ist, wirklicher innerer Friede möglich ist. Wie die meisten von uns aber wissen, ist das nicht so einfach. Immer wieder finden wir uns während spiritueller Übungen im Dickicht unserer Gedankenwelt wieder. Warum ist das so? Warum können wir den Kopf so schwer abschalten, auch wenn wir bereits wissen, dass das eine wesentliche Ursache unseres Leids ist? Ein wichtiger Grund dafür ist, dass wir bewusste oder unbewusste Wünsche an das Leben haben. Wenn ich erst einen Partner oder einen guten Job gefunden habe, wenn ich meine Bestimmung im Leben entdecke, wenn ich erleuchtet bin, dann werde ich glücklich sein! Die Erlösung von Alltagsfrust und Leid scheint tatsächlich in der Zukunft zu liegen. Und: Sie scheint für viele nur durch Anstrengung und rastlose Suche erreichbar zu sein. Integrale Gestalttherapie hilft, diese weit verbreiteten Mechanismen und ihre durchschlagende Wirkung auf unser Leben deutlich werden zu lassen.
Ein Grundgedanke der Gestalttherapie ist, dass eine Situation zunächst wirklich angenommen werden muss, bevor sie einer Veränderung zugänglich ist. Gleichwohl geht es oft immer noch um Veränderung. Aber von dieser gestalttherapeutischen Sichtweise bis hin zu den spirituellen Lehren, bei denen es um Hingabe an das, was gerade ist, geht, ist es kein weiter Weg mehr. Das Paradoxon der Veränderung in der Gestalttherapie beschreibt die Erfahrung, dass sich Dinge, die ich unbedingt weghaben will, durch den Widerstand dagegen eher noch verstärken. Erst wenn etwa ungeliebte Eigenschaften angenommen werden, wir unseren Frieden damit gemacht haben, können sie sich auflösen. Diese Form des Umgangs mit Problemen kann jedoch nur dann wirklich fruchtbar werden, wenn man den spirituellen Grund, auf dem das stattfindet, erkannt hat. Wenn ich erkannt u n d erfahren habe, dass es ein I c h b i n gibt, das jenseits des Verstandes und auch jenseits des Körpers ist, das immer war oder anders ausgedrückt, das jenseits der Zeit ist, erst dann ist es möglich, den Widerstand gegen das, was ist aufzugeben und mit der gegenwärtigen Erfahrung zu sein -egal wie diese Erfahrung ist.
An dieser Stelle ist es hilfreich, zwischen Problemen und schwierigen Situationen zu unterscheiden. Ein Problem ist ja immer das, was der Verstand aus einer schwierigen Situation macht. Wenn ein Löwe hinter uns her ist, dann ist das eine schwierige Situation, aber kein Problem, weil wir gar keine Zeit haben, uns darüber Gedanken zu machen. Wir Menschen in der westlichen Welt leiden sehr viel häufiger unter unseren verstandesgezimmerten Problemen als unter tatsächlich schwierigen Situationen.
Ein unangenehmes Gefühl wie zum Beispiel Angst ist erst einmal kein Problem, sondern für diesen Moment eine Tatsache. Integrale Gestalttherapie lädt dazu ein, bei diesem Gefühl zu verweilen: Wie eine Blume, wenn Sie sie einfach blühen lassen, beginnt die Angst dann zu welken und zu sterben. So kann man im Grunde mit allem, was wir für ein Problem halten, umgehen. Unsere Gewohnheit ist dagegen oft, dass wir das unangenehme Gefühl gerade nicht spüren wollen. Die innere Bewegung geht weg davon. Der Verstand macht dann ein Problem daraus, projiziert die Schuld daran auf andere oder auch auf sich selbst und sucht rastlos nach Lösungen. Wir alle kennen dieses unproduktive Kreiseln im Verstand. Obwohl wir mit dieser Strategie immer wieder gescheitert sind, halten wir oft unbeirrbar daran fest.
Bei dem was gerade ist, einfach zu bleiben, hat dagegen eine tiefgehende Wirkung. Die Bereitschaft, das Leben so zu nehmen wie es ist, achtsam und sanft damit zu sein, stößt das Tor auf zur spirituellen Bewusstheitsdimension und zu einem Leben in Frieden. Es gibt nichts zu erreichen. Dies Jetzt ist es! Oder wie Thich Nath Hanh sagt:
„Make this moment into the most wonderful moment of your life!“
Glücklichsein und innerer Frieden ist nicht in erster Linie das Ergebnis bestimmter äußerer Umstände, sondern wie man mit diesen Umständen ist! Integrale Gestalttherapie will deshalb nicht in erster Linie etwas an den Umständen ändern (obwohl das manchmal auch wichtig sein kann!), sondern eine Haltung des in Frieden Seins mit dem, was in diesem Augenblick ist, fördern. Das bedeutet natürlich nicht, zu allem ja und Amen zu sagen und alle Umstände kritiklos hinzunehmen. Frei- und Glücklichsein ist nur von Augenblick zu Augenblick möglich und das, mit dem uns das Leben in diesem Augenblick konfrontiert (Gefühle, Menschen oder was auch immer) ist ja schon da! Angst, die in diesem Moment da ist, wird nicht dadurch weniger, dass ich sie nicht haben will! Mein Beziehungspartner wird nicht dadurch anders, dass ich ihn so nicht haben will! Vielmehr führt der Widerstand gegen das, was jetzt ist nur zu innerer Anspannung und ermöglicht so keineswegs eine adäquate Reaktion darauf, wie wir irgendwie zu glauben scheinen. Um zu einer äußeren Situation deutlich Nein zu sagen, bedarf es keines Widerstandes, sondern nur innerer Klarheit.
Ein solches tiefes Verständnis will die Integrale Gestalttherapie durch direkte Erfahrung vermitteln und vertiefen: Innerer Frieden stellt sich ein, wenn der gegenwärtige Moment immer tiefer und bewusster erfahren werden kann und wir von Augenblick zu Augenblick damit in Frieden sind!
DER AUTOR:
Klaus Lang, Gestalttherapeut
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Web: www.praxis-fuer-integrale-gestalttherapie.de