In der Partnerschaft heilen und wachsen
Glaubt man den aktuellen Statistiken, wird in unserem Land inzwischen jede zweite Ehe geschieden. Paare, die sich trennen, ohne verheiratet gewesen zu sein, sind dabei noch gar nicht mitgerechnet. So könnten wir zu dem Schluss kommen, die Ehe, die Partnerschaft auf Lebenszeit in ihrer traditionellen Form, hat sich überlebt, hat in ihrer bestehenden Form gar keine Gültigkeit mehr. Wir könnten uns angesichts dieser offensichtlichen Entwicklung entspannt zurücklehnen und abwarten, welche neuen Formen des Zusammenlebens sich entwickeln werden. Doch das geht meistens nicht, denn wir sind persönlich betroffen.
Zu groß ist die Sehnsucht und der Wunsch, den Mann, die Frau, den Partner zu finden, der mich meint, mich sieht, mich liebt und meine Liebe dankbar annimmt. Zu glücklich sind wir, wenn wir uns verlieben. Doch dieses Gefühl süßer Verliebtheit, Sicherheit und Geborgenheit weicht im Alltag nur allzu schnell einer gewissen Ernüchterung. Wir entdecken unsere Gegensätze, Konfliktthemen wiederholen sich. Die Zeit, in der unsere Träume und Hoffnungen zerplatzen, ist oft leidvoll und schmerzhaft. Wir stecken fest, resignieren und ziehen uns zurück oder finden uns wieder in Alltagskämpfen, Rechthaberei und zermürbenden Diskussionen – in der Hoffnung, dass der andere uns doch endlich hören und verstehen möge. Allzu oft stehen wir dann eines Tages vor einem Scherbenhaufen und müssen uns eingestehen, dass wir dies vielleicht schon aus anderen Beziehungen kennen.
In anderen Bereichen unseres Lebens würden wir uns nun Hilfe suchen. Einer Situation nicht gewachsen zu sein, würde uns veranlassen, fachliche Kompetenz einzuholen. Kaum jemand zögert, einen Fachmann anzurufen, wenn die Waschmaschine nicht mehr funktioniert, oder in finanziellen Angelegenheiten die Hilfe eines Steuerberaters in Anspruch zu nehmen. Wir suchen einen Arzt auf, wenn wir Beschwerden haben oder lassen unser Auto regelmäßig von einem Fachmann warten. Doch wenn unsere Partnerschaft nicht mehr befriedigend läuft, wie wir uns dies wünschen, scheint manchmal eine Trennung näher zu liegen als der Weg zu einer Partnerschafts- oder Eheberatung.
Heute eine erfüllende, respektvolle Partnerschaft oder Elternschaft zu leben, in der beide Partner sich gleichberechtigt einbringen und kreativ mitgestalten können, ist eine höchst komplexe Aufgabe. Darauf sind wir nicht vorbereitet worden. Die wenigsten von uns hatten Vorbilder, geschweige denn gute Lehrer. Wir sind, was dies angeht, verunsichert oder unerfahren. Paare berichten oft von Scham und Versagensängsten, die sie davon abgehalten haben, sich schon früher Unterstützung zu suchen. Viele haben auch Angst vor „Psychokram“. Diese Ängste sind oftmals so ausgeprägt, dass es den Betroffenen leichter fällt, einen Scheidungsanwalt aufzusuchen in der Hoffnung, dass die Lösung vielleicht in einer Trennung zu finden ist. Es ist, als hätten sie gar keine andere Wahl.
Deine Aufgabe ist nicht, nach Liebe zu suchen, sondern nur, alle Schranken in dir selbst zu finden, die du dagegen errichtet hast.
Mevlana Dschelaluddin Rumi
Wonach wir uns alle in der Partnerschaft sehnen, sind Sicherheit und Geborgenheit. Wir wollen so geliebt und angenommen werden, wie wir sind und wünschen uns, dass die Beziehung uns nährt und stärkt. Dann können wir entspannen, sind spontan, authentisch und lebendig. Die Sicherheit, dass der andere gar nicht unser Feind, sondern in Wirklichkeit unser Freund ist, wird ganz neue Nähe möglich machen. Die Leidenschaft kann wieder erwachen, und gemeint ist damit nicht nur die sexuelle Leidenschaft, sondern die volle Lebenskraft und Lebensfreude, die unser ganzes Wesen zum Ausdruck bringt.
In der Imago-Paartherapie unterstützt ein erfahrener Therapeut die Paare, sich einander wieder zuzuwenden und auf eine neue Weise miteinander zu kommunizieren. Er wird für einen sicheren Rahmen sorgen, in dem die Partner entdecken, welche unerfüllten Bedürfnisse, die oftmals ihren Ursprung in Verletzungen der Kindheit haben, nicht erfüllt werden. Sie werden sich der Ängste bewusst, die die Enttäuschungen hervorrufen und der gewohnheitsmäßigen Reaktionen, wenn sich diese Ängste in der Partnerschaft zeigen. Erst mit dem Bewusstwerden dieses inneren Erlebens können sie sehen, dass sie Wahlmöglichkeiten haben, die ihnen vorher nicht zur Verfügung standen. Dann wird es möglich, die Beziehung in einem neuen Licht zu sehen, um sie gemeinsam zu gestalten.
Die Partner lernen, miteinander in Verbindung zu kommen, indem sie sich aufmerksam zuhören und einander wirklich sehen. Es wird möglich, den anderen in der Tiefe und mitfühlend zu verstehen, weil jeder ganz bewusst in die Welt des anderen kommt, selbst wenn die eigene Sicht der Dinge eine andere ist. Denn jeder von uns lebt in seiner ganz einzigartigen Welt, mit eigenen Lebenserfahrungen, Einstellungen, Gedanken und Gefühlen.
Damit die Liebe zwischen zwei Menschen wieder gelebt werden kann ist es wesentlich, einander mit Wertschätzung und Achtung zu begegnen und dies auch im täglichen Miteinander auszudrücken. Da wir jedoch in einer Kultur leben, in der wir gut gelernt haben, vor allem Fehler und Mängel im Anderen zu sehen und einander auf unterschiedlichste Weise zu kritisieren – was uns schwächt und klein macht – braucht es ein Umdenken und Umlernen. Wertschätzung und Anerkennung für den anderen sind essentiell wichtig für jede Beziehung, helfen dem anderen zu heilen und ganz zu werden, und wir selbst haben die Chance zu wachsen, indem wir unserem Partner den Ausdruck unserer Liebe nicht mehr vorenthalten.
Dieser Prozess setzt Mut, Neugier und Vertrauen voraus. Mut, die ausgetretenen Pfade unserer Überlebensmuster zu verlassen und etwas ganz anderes auszuprobieren. Neugier, unseren Partner wirklich kennen zu lernen. Denn da gibt es vieles, was wir von uns und unserem Partner wissen und was uns vertraut ist, und da ist auch vieles, was es noch zu entdecken gibt! Es braucht Vertrauen in die Anziehung und in die Liebe, die wir für einander empfinden und die uns verbindet. Vertrauen, dass es auch im Beziehungsbereich Fachleute gibt, die neben ihrer gründlichen Sachkenntnis auch Erfahrung, Verständnis und Einfühlungsvermögen haben und von und mit denen wir lernen können. Und es braucht das Vertrauen, diesen passenden Begleiter und die nötige Unterstützung dafür auch zu finden. Uns auf diese neuen Wege zu begeben macht uns vielleicht zu den wahren Entdeckern und Abenteurern unserer Zeit. Es mag unsere Chance sein, der nachfolgenden Generation ein Zeichen der Ermutigung und der Zuversicht mit auf den Weg zu geben.

DIE AUTOREN:
Irene und Andreas Christen sind erfahrene Imago-Paartherapeuten und -Coachs, ausgebildet in körperorientierter Psychotherapie, Tanz, Energie- und Ritualarbeit. Irene arbeitet als Heilpraktikerin für Psychotherapie (HPG). Neben den vielen Aus- und Weiterbildungen schätzen sie besonders die eigene Erfahrung mit der Imago-Paartherapie. Sie sind seit 25 Jahren ein Paar und haben drei erwachsene Kinder.
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