Während meiner Kindheit in den 80er Jahren, war das Waldsterben eines der vorrangigen Umweltthemen. Ich erinnere mich noch gut an den „Tempo 100 – dem Wald zuliebe“-Aufkleber, den wir auf unserem Familienauto hatten. Die Baumkronen waren deformiert und gefühlt stand der Weltuntergang kurz bevor. „Das Waldsterben ist heute kein Thema mehr“ meint Dr. Gerhard Gaudlitz, Leiter des städtischen Forstamts Landsberg am Lech. Die Entschwefelung der Kraftstoffe hat einwandfrei funktioniert, das Waldsterben konnte gestoppt werden. Hätte man jedoch Ursache und Wirkung damals nicht verstanden, wären die Wälder am Schwefeldioxid zugrunde gegangen, so Gaudlitz weiter.
Ursache und Wirkung werden in Bezug auf das derzeitige Bienensterben noch nicht umfänglich verstanden. Als zu komplex erscheinen die Zusammenhänge und trotz der gehäuften Medienberichte haben Bienen kaum eine Lobby, die den Handlungsdruck erhöhen könnte. Stellen Sie sich vor, in Deutschland würden in jedem Winter rund 30% der Schweine oder Rinder auf unerklärliche Weise verenden. Eine apokalyptische Vorstellung? – vielleicht. Auf jeden Fall gäbe es einen Krisengipfel nach dem anderen und die Parlamentarier würden sich an Forderungen nach Rettungsprogrammen und Soforthilfen über bieten. Die Bienen jedoch sterben leise.
Seit Jahren gibt es in Deutschland, wie auch in nahezu allen anderen Industrieländern, immer weniger Bienenvölker. Das liegt zum einen an der demografischen Entwicklung, denn mit der Gesamtbevölkerung werden auch die Imker immer älter. Aktuell liegt der Altersdurchschnitt bei knapp über 60 Jahren und die Imkerei ist, mit den bis zu 30 kg schweren Kästen, körperlich anstrengend. Viele der Senioren hängen ihr Hobby darum einfach an den berüchtigten Nagel. Noch brisanter aber, weil weitgehend unerforscht, ist das Sterben der Bienenvölker – auch Collony Collaps Disorder (CCD) genannt. Zumindest weiß man, dass es keine monokausale Begründung für das weltweite Zusammenbrechen der Völker gibt. Eher ist es ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren, welche einzeln betrachtet die Bienen schwächen, in Kombination jedoch fatale Wirkung entfalten.
Die Varroa-Milbe wurde in den 70er Jahren aus Asien nach Europa und in die ganze Welt verschleppt. In den fernöstlichen Ursprungsländern konnten sich die Bienen über Jahrtausende mit dieser Milbe arrangieren, hiesige Bienen stehen diesem Parasit (noch) ratlos gegenüber. Dabei scheinen nicht nur die Milben das Problem zu sein, neueste Erkenntnis weisen darauf hin, dass die Schädigung der Biene auch durch Bakterien und Viren verursacht wird. Diese Krankheitserreger gelangen durch die von den Milben gebohrten Sauglöcher in den Chitinpanzer der Bienen.
„Wenn die Biene von der Erde verschwindet, dann hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben; keine Bienen mehr, keine Bestäubung mehr, keine Pflanzen mehr, keine Tiere mehr, keine Menschen mehr…”
Albert Einstein
Eine weitere Widrigkeit stellen die landwirtschaftlichen Monokulturen dar. Flurbereinigte Landstriche mit Weizen- oder Maisfeldern bis zum Horizont verknappen das Futterangebot an Pollen und Nektar dramatisch. Seit es finanziell immer attraktiver wird, organisches Material für Biogasanlagen zu produzieren, sind Löwenzahnund Kleewiesen nur noch vereinzelte Relikte in der einstmals blühenden Landschaft.
Als wäre das nicht schon genug, tragen Pestizide und Insektizide mit ihren verheerenden Auswirkungen auf die betroffenen Insektenpopulationen ihren Teil zum Bienensterben bei. Während des Ersten und Zeiten Weltkrieges wurden chemische Kampfstoffe entwickelt, die in abgeänderter Form dann von den gleichen Unternehmen zur Schädlingsbekämpfung in der Landwirtschaft angeboten wurden. Erst nach und nach begriff man die Auswirkungen zum Beispiel von DDT auf den Menschen und das gesamte Ökosystem. Heute können ganz andere, so genannte systemische Pflanzenschutzmittel verwendet werden, die Neonicotinoide. Diese gelangen – u.a. bei gebeizter Maissaat – über die Wurzeln in die Pflanze, wo sie vor Fraßfeinden schützen sollen. „Neonicotinoide sind 7.000 mal toxischer als DDT“, weiß der Bienenfachberater des Bezirks Oberbayern, Arno Bruder, zu berichten. Bei Insekten führen diese hochgiftigen, chemischen Nikotinverbindungen zu Störungen der Reiz – übertragung im Nervensystem, was 2008 im Rheintal den Tod für über 11.000 Bienenvölker (also ca. 300 Millionen Bienen!) bedeutete – die Schwarzwaldregion war praktisch bienenfrei.
Ein weiterer Aspekt der CCD, zumindest in den Flächenstaaten, ist der generelle Stress in der industrialisierten Tierhaltung. Die Biene ist außerhalb der Schwarmzeit im Frühling standorttreu, d.h. obwohl die Tiere zwar fliegen können, bewegt sich das Volk nicht von Ort zu Ort, sondernd bleibt in der einmal gewählten „Immobilie“. Die großen Bestäubungsimker z. B. in den USA mit mehreren tausend Völkern müssen jedoch mit ihren Tieren dorthin, wo es gerade blüht. Vom Wintersitz in Florida geht es quer durchs ganze Land an die Westküste zur Mandelblüte und dann wieder zurück nach Nordosten, wo die Obstplantagen bestäubt werden sollen. Die Völker, die diese Prozedur überleben, werden wieder nach Florida gebracht, um dort mit Zuckerwasser zu überwintern, bevor der Wanderzirkus von Neuem beginnt.
Erste Studien hinterfragen, ob Mobilfunk und andere Elektrosmog-Quellen unter Umständen den Tieren die Orientierung nehmen. Wann es hierzu eine abschließende Einschätzung geben wird, ist noch offen. Auch die Auswirkungen von gentechnisch veränderten Pflanzen, der fortschreitende Klimawandel und das massive Artensterben sind Gegenstand wissenschaftlicher Bienenforschung.
Das Bienensterben ist nicht nur so dramatisch, weil über 80% unseres Obstes und Gemüses auf die immense Bestäubungsleistung des drittwichtigsten Nutztieres angewiesen ist, sondern auch, weil wir Ursache und Wirkung der Vorgänge noch nicht verstehen und die Bienen als tragende Säule des Ökosystems bislang gegen die mächtige Industrielobby den Kürzeren gezogen hat. UNEP-Leiter Achim Steiner: „Der Mensch hat den Irrglauben entwickelt, der technische Fortschritt habe ihn im 21. Jahrhundert von der Natur unabhängig gemacht. Die Bienen zeigen, dass wir in einer Welt mit sieben Milliarden Menschen in Wahrheit viel mehr statt weniger von Dienstleistungen der Natur abhängen.” In einigen Regionen Chinas müssen die Blüten der Obstbäume bereits per Hand bestäubt werden.
DER AUTOR:
Daniel Überall (33) ist gebürtiger Münchner und hat seine Leidenschaft für Bienen entdeckt. Seit April hat er mehrere Völker an verschiedenen Standorten in München. Unter www.stadtimker.de berichten er und das Stadtimker-Team über Veranstaltungen, Projekte und Themen rund um die Bienen.
Kontakt
Web: www.mellifera.de, www.bluehende-landschaft.de, www.bienenkunde.uni-hohenheim.de